"Der Musik Telemanns im Allge- meinen und seiner Kirchenmusik im Besonderen wird bis heute nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie eigentlich verdient", sagt der Leipziger Kirchenmusiker, Sänger und Dirigent Gotthold Schwarz. "Dabei sind bei Telemann wahre Schätze zu finden. Einer davon ist ,Der Tod Jesu', und mit dieser Einspielung wollen wir vom Bach Consort Leipzig unseren Bei- trag dazu leisten, dass dieses Werk Telemanns nicht ganz in Verges- senheit gerät. Diese Musik muss einfach gespielt werden."
Der Titel lässt den Musikfreund stutzen, denn ihn trägt auch ein Werk von Carl Heinrich Graun. Beide Komponisten nutzten tatsächlich das gleiche Libretto - eine Passionsdichtung des Berliner Dichters und Philosophen Karl Wilhelm Ramler, die dieser im Auftrag von Prinzes- sin Anna Amalia von Preußen geschaffen hat. Sie unterstreicht die emotionalen Aspekte der Passionsgeschichte, und lässt die Narratio, den Bericht über das Geschehen, wie wir ihn etwa aus Bachs Passio- nen kennen, zurücktreten.
Die Prinzessin, die zuweilen selbst komponierte, wollte Ramlers Text möglicherweise ursprünglich selbst vertonen. Sie gab ihn jedoch an Graun weiter, und dieser sandte ihn wohl auch Telemann, mit dem er in regem Briefwechsel stand. So ergab sich die kuriose Situation, dass am 15. März 1755 in Hamburg Telemanns Tod Jesu uraufgeführt wurde - und am 26. März 1755 in Berlin Grauns gleichnamiges Werk.
Doch während Grauns Passionsmusik in Berlin eine Tradition begrün- dete - das Werk wurde bis 1884 alljährlich durch die Singakademie in der Passionszeit aufgeführt -, verschwand Telemanns Werk schon nach wenigen Jahren sang- und klanglos aus dem Repertoire. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass Telemanns Vertonung ziemlich kon- sequent barocken Traditionen folgt. Seine Musik ist rhetorisch, Grauns empfindsam. Telemanns Musik verlangt Reflexion, Grauns Einfühlung.
Das Bach Consort Leipzig hat Telemanns Werk in der Schlosskapelle zu Torgau eingespielt. Dabei handelt es sich um den ersten protestan- tischen Kirchenbau in Deutschland, 1544 durch Martin Luther per- sönlich geweiht. So führt Schwarz die Passion, die für einen Konzert- saal, das Hamburger Drillhaus, entstanden ist, in den Kirchenraum zurück. Musiziert wird mit minimaler Besetzung, und die vier Solisten - Siri Karoline Thornhill, Sopran, Susanne Krumbiegel, Alt, Albrecht Sack, Tenor und Gotthold Schwarz, Bass - singen sowohl die Solo- partien als auch die Chorstimmen, die in diesem Falle nicht durch Ripienisten verstärkt werden.
Mit der ersten Liga der Alte-Musik-Ensembles können die Leipziger leider nicht ganz mithalten. Dennoch ist diese engagierte Aufnahme sehr hörenswert, nicht zuletzt, weil sie einige Besonderheiten zu bieten hat. So spielt Stephan Katte ein Original-Horn des berühmten Wiener Waldhornmachers Anton Kerner aus dem Jahre 1760, das als Leihgabe durch das Mährische Landesmuseum Brno zur Verfügung gestellt wurde. Um den Klang zu demonstrieren, den diese Instru- mente zu Telemanns Zeiten hatte, bläst er dieses Horn mit der damals üblichen Technik: Er korrigiert die Unreinheiten der Naturtonreihe nur durch den Ansatz, was einen erstaunlich hellen, offenen Ton bewirkt.
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