Leonid Leonidowitsch Sabanejew (1881 bis 1968) war der Sohn eines russischen Gutsbesitzers. Obwohl er schon früh seine musikalische Begabung zeigte und den entspre- chenden Unterricht erhielt, stu- dierte er in Moskau Mathematik und Naturwissenschaften. Im Anschluss an seine Promotion aber widmete er sich der Musik. Sabane- jew komponierte, und schrieb Musikkritiken. Dabei vertrat er extrem moderne Positionen; so verkündete er, die Zukunft der Musik liege in der Ultrachromatik, und forderte die Aufteilung der Oktave in 53 Töne.
Nach der Revolution 1917 gehörte er zunächst zu den hohen Funktio- nären der jungen UdSSR. So leitete er das wissenschaftliche Komitee des Staatsinstituts für Musikwissenschaft (GIMN) und die Musikab- teilung an der Akademie der Schönen Künste. Und er publizierte in Prawda und Iswestija.
Als er sah, dass Stalin immer mehr Macht an sich brachte, floh Saba- nejew schließlich 1926 in den Westen, wo er sich in Paris bzw. in Nizza niederließ. So rettete er sein Leben, doch er verlor seine Heimat, wo er offenbar bis heute totgeschwiegen wird. Das ist ein Verlust, wie diese CD beweist. Sie enthält zwei seiner raren Großwerke. Das Trio-Impromptu op. 4 aus dem Jahre 1907 weist noch Spuren spätroman- tischer Strukturen auf. Sie erscheinen wie Spiegelscherben, die auf dem Schutt gelandet sind, und gelegentlich daraus hervorglänzen. Dieses Werk ist so komplex, dass man sich wundert, wie es Ilona Then-Bergh, Violine, Wen-Sinn Yang, Violoncello und Michael Schä- fer, Klavier, gelingt, es trotzdem zum Klingen zu bringen.
Das gilt noch viel mehr für die Sonate pour Piano, Violon et Violon- celle op. 20 von 1923/24, ein musikalisches Monster mit einer Dauer von über einer halben Stunde, das wie ein Echo der politischen Ereig- nisse jener Jahre erscheint. Mit außerordentlicher formaler Strenge, dem Beharren auf drei Themen, drei Teilen und einer gewaltigen Tripelfuge im Zentrum versucht Sabanejew möglicherweise, die Schrecknisse in eine Struktur zu zwingen. Vergebens; die Musik ist hier wohl klüger als der Komponist.
Wer diese beiden Werke angehört hat, der ahnt, dass dies wohl das Kammermusik-Ereignis des Jahres gewesen sein könnte. Diese CD dürfte den Musikern und dem Label Genuin Classics zahlreiche Preise und Auszeichnungen bescheren - verdient jedenfalls hätten sie sie. Danke für diese Entdeckung!
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