Händels Oratorium Der Messias gehört heute zum Standard- repertoire der Kirchenmusik. Dass diesem Werk dauerhaft Erfolg beschieden sein würde, war aber nicht von vornherein abzusehen. Denn in London, wo Georg Fried- rich Händel das Opus nach seiner Premiere in Dublin etablieren wollte, kam Messiah zunächst gar nicht gut an. Die Leute nahmen Anstoß daran, dass Bibelworte im Theater erklangen, dass Zitate aus den Evangelien zur Unterhaltung dienen sollten. Händel zog sich geschickt aus der Affäre - und die Wohltätigkeit half ihm dabei.
Und so wurde Messiah das einzige Oratorium Händels, das zu seinen Lebzeiten außerhalb eines weltlichen Gebäudes erklang. Denn ab 1750 beschloss Händel seine Oratoriensaison in der Fastenzeit mit diesem Werk, und veranstaltete nach Ostern zusätzlich eine weitere Vorstellung in der Kapelle des Foundling Hospital, deren Erlös den Findelkindern zugute kam. Und ganz allmählich verstummten auch die Blasphemie-Vorwürfe.
Die Besetzung, die Händel dabei zur Verfügung stand, war nicht groß. So dokumentiert eine Abrechnung aus dem Jahre 1754, dass bei dem Benefizkonzert für das Foundling Hospital 14 Violinen, sechs Violen, drei Violoncelli, zwei Kontrabässe, vier Oboen, vier Fagotte, zwei Hörner, zwei Trompeten und zwei Pauken verwendet wurden. Der Chor bestand aus ungefähr 20 Sängern, wobei der Sopran von Chor- knaben und der Alt von Countertenören gesungen wurde. Außerdem sangen die Solisten die Chorpartien mit.
Nach Händels Tod wurde das Werk zur Ikone. Bis zu 4000 Choristen und 500 Instrumentalisten kamen zum Musizieren zusammen; und neigte schon Händel dazu, seine Stücke vor jeder Aufführung zu überarbeiten, so wurden für diese Riesenbesetzungen nun weitere Versionen geschaffen. Mozart beispielsweise schuf zusätzliche Begleitstimmen, und auch weniger versierte Zeitgenossen bearbei- teten insbesondere die Orchestrierung, so dass Händels Werk zusehends unter einer dicken Schicht von Aufführungstraditionen verschwand.
Der britische Musikwissenschaftler Julian Herbage (1904 bis 1974) grub die Original-Partituren wieder aus und schuf so die Voraus- setzung für die vorliegende Aufnahme aus dem Jahre 1961, bei der es sich um die jüngere von zwei Einspielungen mit dem London Symphony Chorus und dem London Symphony Orchestra unter Sir Adrian Boult handelt. Die Solopartien sind grandios besetzt mit Joan Sutherland, Sopran, Grace Bumbry, Mezzosopran, Kenneth McKellar, Tenor und David Ward, Bass. An der Continuo-Orgel ist Ralph Downes zu hören, am Cembalo George Malcolm. Und weil noch Platz auf CD drei war, hat das Label noch einige Arien aus anderen Händel-Oratorien mit Dame Joan Sutherland und mit dem wirklich exquisiten Tenor Kenneth McKellar dazugepackt.
Achtung! diese Aufnahme hat Suchtpotential. Und das, obwohl von historischer Aufführungspraxis, von barocker Musik und von leichten, beweglichen Stimmen hier so gar nichts zu finden ist. Immer wieder fragt man sich erstaunt, wieso diese alten Aufnahmen dennoch eine Ausstrahlung haben, die den jüngeren fehlt, obwohl diese doch musikalisch eigentlich so viel besser sind. Mir drängt sich da der Verdacht auf, dass Spannung und Tempo unmittelbar etwas miteinander zu tun haben - und dass eine schnellere Interpretation daher nicht unbedingt auch die spannendere sein muss; da möchte ich doch Bedenken anmelden.
Sir Adrian Boult zelebriert Händels Messiah mit Hingabe, und die Sänger singen nicht nur mit Technik, sondern mit Seele. Das Ergebnis ist von einer Qualität, die noch immer überzeugt - wer eine bessere Aufnahme hören möchte, der kann lange suchen.
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