Wenn man diese CD anhört, auf- genommen 2004, dann wird noch einmal deutlich, welcher Verlust die Auflösung des Ensembles Musica Antiqua Köln war. Hier spielt noch einmal die Kernfor- mation: Reinhard Goebel und Stephan Schardt, Violinen, Klaus-Dieter Brandt, Violoncello, und Léon Berben am Cembalo - virtuos, elegant und mit jenem Engage- ment, das dieses Ensemble so einzigartig machte.
Im November 2006 hatte Reinhard Goebel, Gründer und langjähriger Leiter des Ensembles, zum letzten Konzert geladen. Ihn selbst zwangen Probleme mit der Muskulatur seiner linken Hand dazu, die Geige aus der Hand zu legen. Ein schwerer Verkehrsunfall beendete 2005 bereits die Karriere von Stephan Schardt. Goebel wirkt nun als Dirigent und Orchester-Erzieher.
Liest man seine Interviews aus den letzten Jahren, so hat sich da offenbar leider sehr viel Ärger und Verdruss angesammelt. Goebel schimpft über das Publikum, das Qualität nicht schätzt, über die Plattenfirmen, denen Qualität vollkommen egal ist, über die Stadt Köln nebst der dort ansässigen Musikhochschule, die das Wirken der Musica Antiqua Köln über mehr als 30 Jahre offensichtlich völlig ignoriert haben, und über seine Musikerkollegen, die "all' das auf- nehmen, was die Bibliothekare mit dem Handwagen aus den Magazinen ankarren", so schreibt Goebel im Beiheft - und dabei keine Vorstellung davon haben, was sie da eigentlich wie und warum spielen.
Es gebe nichts zu entdecken, mault der Musiker - "alles, was an Musi- kalien seit der Erfindung der Notation, der schriftlichen Fixierung des Musikwerks, erhalten ist, ist bereits irgendwo katalogisiert und von der Musik-Wissenschaft wenn nicht bearbeitet, dann doch zur Kenntnis gebracht und irgendwo und irgendwie zu selbiger genommen worden." Zwar sei es dem Interpreten überlassen, diese Musikalien wieder zum Klingen zu bringen, räumt der Maestro ein. Doch müsse dieser strikt zwischen Kunstwerken und "Dutzend-Ware" unterscheiden.
Sobald Goebel jedoch anhebt, konkret über Musik zu reden, verfliegt diese Übellaunigkeit wie ein Nebelschleier, der sich plötzlich der Sonnenwärme ausgesetzt findet. Und wenn er über die zwölf Violin-Triosonaten Il giardino del piacere schreibt, die einzigen überliefer- ten Instrumentalwerke von Johann Friedrich Meister, dann ist seine Begeisterung deutlich zu spüren: "Als wir vor fast zehn Jahren erstmals in diese Sonaten ,eintauchten', waren wir erschüttert von der Ernsthaftigkeit und der Tiefe dieser Kompositionen; wir waren stolz und glücklich ,mal wieder' eine künstlerische und sachliche Herausforderung gefunden zu haben, die so ganz entschieden der Karnevalisierung der ,Alten Musik' und ihrer easy-listening-Kon- sumierbarkeit paroli zu bieten schien. Nur kurze Zeit nach den Konzerten und der hier vorgestellten Aufnahme mit dem Meister-Zyklus war das Ensemble gezwungen, seine Arbeit zu beenden." Diese Triosonaten sind nun doch eine Entdeckung, denn sie sind eigen-artig, unvergleichbar, und sie zeugen einerseits davon, wie ein Musiker zur Zeit Bachs in laufende Diskurse eingebunden war - und andererseits von dem überaus hohen musikalischen Niveau, das in Norddeutschland seinerzeit üblich gewesen sein muss.
Über Kindheit und Jugend Johann Friedrich Meisters ist nichts bekannt; die erste gesicherte Information über den Musiker ist die Tatsache, dass er 1677 eine Stelle als Musikdirektor der Hofkapelle des Herzogs Ferdinand Albrecht I. von Braunschweig-Lüneburg im Schloss Bevern annahm. Dieses Engagement endete in einer Katastrophe: Infolge von Auseinandersetzungen zwischen dem Herzog und seinen Musikern, vor allem über die schlechte Bezahlung, wurde Meister Anfang Oktober 1678 inhaftiert. Mit Hilfe von Freun- den gelang es ihm, zu entkommen. Seine nächste Anstellung fand der Musiker bei Bischof August Friedrich von Lübeck in Eutin; 1683 wurde er schließlich Organist an der Marienkirche zu Flensburg. 1697 starb Meister in Flensburg.
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