Diese Aufnahme war einst ein Er- eignis, und ihre Neuveröffentlichung ist erneut ein Meilenstein der Interpretationsgeschichte: Aus den Jahren 1972/73 stammt Friedrich Guldas Einspielung des Wohltem- perierten Klaviers von Johann Sebastian Bach. Sie ist nun, pünktlich zum 85. Geburtstag des österreichi- schen Pianisten, bei MPS/Edel Music in einer spektakulären Edition wieder erschienen. Denn der Hörer findet auf den fünf LP bzw. vier CD eine direkte Kopie der Masterbänder. Damit erhält er Zugang zum originalen Klang, unverändert, und ohne Eingriffe in die Dynamik- und Lautstärkeverhält- nisse. Es wird möglich, Guldas Bach wieder so zu erleben, wie er vom Interpreten gedacht war. Ergänzt wird die CD-Box durch ein umfang- reiches Beiheft mit den ursprünglichen Geleittexten, Kommentaren Guldas, sowie neuen Texten des Gulda-Vertrauten Thomas Knapp und des heutigen Toningenieurs Thorsten Wyk.
Der Pianist Friedrich Gulda (1930 bis 2000) war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er beeindruckte das Publikum einerseits durch sein Ringen um Werktreue und durch die Eindrücklichkeit seines Spiels. Andererseits leistete sich Gulda gelegentlich Auftritte, die ihm den Ruf einer gewissen Exzentrizität einbrachten. Diese Aufnahme zeigt ihn als einen sorgsam wägenden, hart um Ausdruck und Klangnuancen ringenden Künstler.
Gulda berief sich darauf, „daß zu Bachs Zeiten alles, was Tasten hatte, ,Clavier' genannt wurde, also sowohl das Clavichord – gefühlvolles, intimes Hausinstrument; als auch das Cembalo – glanzvolles, aristo- kratisches, weltliches Prachtstück; und die Orgel – das geweihte Instrument des Gottesdienstes“. Er stellte fest, „daß die Präludien und Fugen des ,Wohltemperierten Claviers' meist deutlich erkennen lassen, von welchem der drei Instrumente sie ihrer Technik und Ausdrucksweise nach inspiriert und für welches sie mithin vorwiegend bestimmt sind“.
Gulda versuchte also, auf dem modernen Konzertflügel die Klänge nachzuempfinden, die sich Bach möglicherweise vorgestellt haben könnte. Dabei arbeitete der Pianist einmal mehr mit dem Villinger Soundtüftler Hans Georg Brunner-Schwer zusammen. Seit 1969 hatte Gulda das Studio im Schwarzwald, das er sehr schätzte, genutzt, um Zyklen von Beethoven, Debussy und Mozart sowie eigene Werke einzuspielen. Eigens für ihn schaffte Brunner-Schwer einen Bösendorfer Grand Imperial an, der dort bis heute steht. Noch heute kann man die Markierungen sehen, mit denen die Position der Mikrophone festgelegt wurde, um den optimalen Klang zu erzielen. Die Mikrophonierung erfolgte direkt über den Saiten des Flügels, was wenig Hall zulässt und sehr direkt wirkt.
Gulda schätzte diesen Klang, der es ihm ermöglichte, durch feinste Nuancen in Anschlag und Pedalisierung zu gestalten. Im modernen Konzertflügel sah er zudem ein Medium, das es gestattet, auch „den abstrakteren Vorstellungen Bachs gerecht zu werden (Zumindest war dies meine Absicht)“. Der Pianist sah in Bachs Werken eine Dimension, die über die Musik weit hinausreicht. Eine Ahnung davon erfasst auch den Hörer, der zudem von der Intensität dieser Musik berührt wird. Grandios!
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