Bei Wieder-Anhören dieser Auf- nahme ist man zunächst erstaunt: Was, so langsam haben die Gebrüder Mauersberger seinerzeit die Matthäus-Passion dirigiert? Das Instrumentalvorspiel jedenfalls schleppt sich dahin. Doch dann setzt der Chor ein, und plötzlich stimmen die Relationen. Denn die Eindringlichkeit und die Glaubens- wucht dieser Aufnahme verträgt sich nicht mit dem Eilzugtempo und jener beschwingten Phrasie- rung, wie sie derzeit, "historisch informiert", noch der Kantor im letzten Dorf anstrebt.
Wenn Peter Schreier hier das Evangelium vorträgt, dann ist das nicht nur Gesangskunst, sondern darüber hinaus unüberhörbar auch ein Bekenntnis des christlichen Glaubens - was von den DDR-Funktionä- ren scharf bekämpft wurde. In diesem Kontext wird Bachs Matthäus- Passion von einer Musikaufzeichnung zum künstlerischen Vermächt- nis.
Denn diese Aufnahme entstand 1970 - in einer Zeit, in der Rudolf Mauersberger um den Fortbestand "seiner" Kruzianer fürchten und ringen musste. Jahre beständiger Schikane und kleinlicher Macht- kämpfe lagen hinter ihm, und die Verhältnisse wurden nicht besser. Man stelle sich vor, dass der Kreuzkantor im Alter von 82 Jahren am 6. Februar 1971 noch sein "Dresdner Requiem" eigenhändig dirigierte, um die Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger gesichert zu wissen - am 22. Februar 1971 ist er gestorben.
Denn diese Aufnahme entstand 1970 - in einer Zeit, in der Rudolf Mauersberger um den Fortbestand "seiner" Kruzianer fürchten und ringen musste. Jahre beständiger Schikane und kleinlicher Macht- kämpfe lagen hinter ihm, und die Verhältnisse wurden nicht besser. Man stelle sich vor, dass der Kreuzkantor im Alter von 82 Jahren am 6. Februar 1971 noch sein "Dresdner Requiem" eigenhändig dirigierte, um die Übergabe der Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger gesichert zu wissen - am 22. Februar 1971 ist er gestorben.
In einer solchen Umgebung und unter solchen Bedingungen wiegen das Herzblut und die Inbrunst, mit der hier musiziert wird, doppelt. Diese CD belegt: Rudolf Mauersberger und sein jüngerer Bruder Erhard, der 1961 Thomaskantor wurde, konnten zudem die beiden traditionsreichen sächsischen Knabenchöre in diesem schwierigen Umfeld auf hohem sanglichen Niveau halten. Obwohl die Aufnahme in der Lukaskirche Dresden entstand, musiziert das Gewandhaus- orchester Leipzig mit seinen erstklassigen Solisten. Und die Continuo-Orgeln spielen Thomasorganist Hannes Kästner und Kreuzorganist Herbert Collum.
Als besondere Stärke dieser Einspielung erweisen sich die überwie- gend exzellenten Gesangssolisten, mit denen selbst die kleinsten Partien besetzt sind. Neben dem Evangelisten Peter Schreier sind beispielsweise Theo Adam als Jesus, Siegfried Vogel als Petrus, Johannes Künzel als Judas und Hermann Christian Polster als Pontius Pilatus zu hören. Wer könnte Adele Stolte "Blute nur, du liebes Herz" klagen hören, oder Annelies Burmeisters ergreifende "Erbarme dich"- Arie, ohne Ostern zu erfassen? Die Tenor-Arien singt Hans-Joachim Rotzsch; er wurde übrigens Mauersbergers Nachfolger als Thomas- kantor, und sein Rücktritt 1991 ist dem Chor leider nicht gut bekommen.
Obwohl ganz im Sinne der DDR-"Erbe-Pflege", also nicht-"historisch authentisch" und mit modernen Instrumenten eingespielt, und obwohl letztendlich nicht jeder Ton perfekt sitzt, gehört dieses Dokument für mich zu den Referenzaufnahmen von Bachs "großer Passion". Die Aufnahme gibt Zeugnis von jener großartigen mitteldeutschen Musiktradition, die vorreformatorischer Zeit entspringt, die Uniformen, Stiefel und Gleichschritt überlebt hat - und hoffentlich auch unser vollelektronisches Zeitalter überdauern wird.
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