Und so hat Ragna Schirmer den 200. Geburtstag Franz Liszts zum Anlass für eine Pilgerreise ge- nommen: Sie folgte den Spuren des Komponisten durch die Schweiz und Italien, seinen Zyklus Années de Pèlerinage als Reiseführer.
Dabei gelang der Pianistin zumin- dest räumlich die Annäherung an den berühmten Kollegen. Das Beiheft zu dieser CD - leider un- glaublich kitschig aufgemacht - verdeutlicht, welche Erkenntnisse Schirmer durch die Reise ge- wonnen hat. So stellte sie fest, dass das Wasser im Garten der Villa d'Este nicht etwa murmelt und raunt: "Das sind hunderte riesiger Wasser-Fontainen. Es ist unfassbar laut!" Über die literarische Qualität der Einträge, die hier mit blauer Tinte notiert sind, möchte man an dieser Stelle lieber schweigen, und hoffen, dass diese schwachen Textchen von PR-Leuten geschrieben worden sind.
Aus der Auseinandersetzung mit den Quellen, auf die Liszt sich in seinem Werk immer wieder bezieht, hat Ragna Schirmer das Prinzip für ihre Gesamteinspielung gewonnen: Liszt hat sich für die Kunst der italienischen Renaissance stark interessiert, sie hat ihn begeistert und inspiriert. Schirmer unterbricht daher seine Klaviermusik, und setzt in die Pausen Madrigale von Carlo Gesualdo und Luca Marenzio. Diese Stücke werden ausdrucksstark gesungen vom Männerquintett Amarcord. Man spürt, dass das Leipziger Ensemble seine Wurzeln im Thomanerchor hat.
Dieser Versuch, Liszts Zyklus durch eine Art Zwiegespräch zu ergän- zen, funktioniert mal besser, mal weniger gut. Wenn beispielsweise auf Marenzios Dura legge d'Amor, am Beginn der dritten CD, Liszts Angélus folgt, dann empfinde ich das als einen Bruch, dessen Funk- tion ich nicht wirklich begreife.
Auch die Liszt-Interpretation von Ragna Schirmer macht mich nicht vollends glücklich. Sie ist unglaublich farbenreich, erscheint aber auch unsäglich oberflächlich. Eine Note ist möglicherweise eben doch nicht nur eine Note. Aus dieser Musik ist unter den Händen der Pianistin das Geheimnis verschwunden; es ist ein protestantisch-geradliniger Liszt, den Schirmer hier porträtiert. Er war aber, denke ich, letzten Endes ein Mystiker, ein Mann der Abgründe und nicht nur der Täler. In den Années de Pèlerinage beschreibt der Komponist weniger Reiseeindrücke als vielmehr seine persönliche, innere Entwicklung - und da ist zu spüren, dass Schirmer der Zugang zu Liszt wohl doch nicht gelungen ist. Schade.
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