Seit der Reformation werden sie ge- sungen – die Choräle Martin Luthers erklingen aber nicht nur im Gottes- dienst, sie sind für viele Menschen auch eine Quelle der Kraft und der Freude. „Seit Generationen ver- binden nun Menschen mit diesen geistlichen Lieder ganz persönliche Erfahrungen und Geschichten, so dass diese Choräle Bestandteil eines kollektiven Bewusstseins geworden sind“, schreibt Christian Sprenger im Beiheft zu dieser CD. Sprenger ist Professor für Posaune an der Weimarer Musikhochschule; seine musika- lischen Wurzeln hat er in der kirchlichen Bläsermusik. „Ich freue mich, mit meinem Projekt Lutheran Symphonix den Liedern der Reformation im zeitgemäßen, sinfonischen Gewand Aufmerksamkeit jenseits ihrer ursprünglichen liturgischen Funktion geben zu können.“
Erkennen Sie die Melodie? Christian Sprenger hat zwölf sinfonische Cho- ralfantasien zu bekannten Kirchenliedern komponiert, von Nun danket alle Gott bis Verleih uns Frieden gnädiglich und von Geh aus, mein Herz, und suche Freud bis zu Wer nur den lieben Gott lässt walten. Beim Orchestrieren wurde er, bei den allermeisten Stücken, durch Robin Hoff- mann unterstützt.
Das Ergebnis überwältigt. Carl Orff, Ennio Morricone und John Williams lassen grüßen; Sprenger nutzt für Lutheran Symphonix in erster Linie Traditionen aus der Filmmusik. Er hat hörbar Vergnügen an Pauken und Trompeten; allerdings ist es mit Pathos wie mit Alkohol – man gewöhnt sich rasch daran, und dann hat man es entweder satt, oder man will immer mehr davon. Doch letztendlich verursacht es einen Brummschädel, und, im Übermaß genossen, auch Übelkeit, bis hin zum Erbrechen. Filmmusik aber lebt auch davon, dass markante Szenen ihren Ausdruck in sehr unter- schiedlichen Themen und Motiven finden, in unverwechselbaren Arrange- ments. Im Idealfall bleiben sie dem Publikum sofort und unauslöschbar im Gedächtnis – man denke nur an die Titelmelodie zu Star Wars, oder aber an die klagende Mundharmonika aus Spiel mir das Lied vom Tod.
Die markanten Themen geben in diesem Falle die Kirchenlieder vor. Die klar unterscheidbaren Arrangements aber fehlen, leider. Sprenger hat sich vom musikalischen Material mitreißen lassen. Was er dabei offenbar we- niger beachtet hat, das sind die Texte der Choräle. Traditionelle Choral- fantasien sind üblicherweise stark am Wort orientiert; sie sind nicht zuletzt Auslegungen des Textes mit den Mitteln der Musik. Das scheint mir in diesem Falle etwas aus dem Blick geraten zu sein, auch wenn der phantas- tische Kammerchor der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar nicht nur Vokalisen, sondern gelegentlich auch eine Choralstrophe inmitten der anflutenden Instrumentalklänge singen darf. Auswirkungen auf den Charakter der jeweiligen Komposition hat das kaum; irgendwie klingt alles ähnlich, ob Ein feste Burg ist unser Gott oder Befiehl du deine Wege. Jedes dieser Werke führt ins kollektive Abheben, am Rande der Verzückung. Die Staatskapelle Weimar musiziert, dirigiert vom Komponisten höchstpersön- lich, mit Leidenschaft. Aber von Luthers Innigkeit, vom ursprünglichen Geist der Kirchenlieder haben sich diese sinfonischen Werke weit entfernt. Schade.
Donnerstag, 15. Dezember 2016
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