„Dieser junge Mann braucht meine Stunden nicht, er muss nur spielen“, soll Arturo Benedetti Michelangeli einst gesagt haben, nachdem er den jungen Ivan Moravec zu einem Meisterkurs eingeladen hatte. Wer den Prager Pianisten schätzt, oder ihn überhaupt noch nicht gehört hat, dem sei an dieser Stelle eine außer- gewöhnliche Aufnahme empfohlen. Es ist der Mitschnitt eines Konzertes, das Moravec 1987 im Prager Rudolfinum gegeben hatte.
28 Jahre lang lagen die Bänder unge- nutzt im Archiv von Supraphon. Irgendwann wunderte sich ein Mitarbeiter des Labels darüber, erfährt man aus dem Beiheft. Er prüfte die Aufnahme, und fand sie technisch einwand- frei, und künstlerisch rundum überzeugend. Glücklicherweise ist es ihm mit beharrlichem Einsatz gelungen, Professor Moravec dazu zu bewegen, die Erlaubnis zur Veröffentlichung des Mitschnittes zu erteilen.
Wenige Tage, nachdem der Pianist zugestimmt hatte, ist er dann gestorben. So erschien die Aufnahme, die eigentlich als Geschenk zu seinem 85. Geburtstag vorgesehen war, letztendlich als musikalischer Nachruf auf einen Musiker, dem es um Wahrhaftigkeit ging, und nicht darum, ein Star zu sein.
Ivan Moravec war überaus selbstkritisch und sehr zurückhaltend bei der Freigabe von Aufnahmen und Konzertmitschnitten. Entsprechend schmal ist seine Diskographie. Das macht diese Doppel-CD umso wertvoller, zumal der Pianist selbst anmerkte, er habe manche der Werke nie besser aufgenommen, als sie an diesem 6. Januar 1987 zu hören waren – in einem ganz normalen Abonnementkonzert.
Auf dem Programm standen Musikstücke, die Konventionen in Frage stellten, unter anderem die Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903 von Johann Sebastian Bach, eine Klaviersonate von Wolfgang Amadeus Mozart, die Mondscheinsonate op. 27 von Ludwig van Beethoven – mit dem Untertitel „quasi una fantasia“, nicht nur formal seinerzeit ein kühnes Experiment – sowie Werke von Frédéric Chopin. Als Zugabe spielte Moravec zudem noch Clair de lune aus der Suite bergamasque von Claude Debussy.
Das Klavierspiel von Ivan Moravec ist ein Ereignis; er musiziert gänzlich uneitel, auf der Suche nach dem Kern eines jeden Werkes, und nach dem angemessenen Ausdruck, dabei überhaupt nicht interessiert an vorder- gründiger Virtuosität und Brillanz. Seine exzellente Technik war für den Pianisten ein Werkzeug, Mittel zum Zweck, und nichts, was er stolz der Welt präsentieren wollte. Was er mit dieser Haltung und mit beharrlicher Arbeit am Detail erreichte, das ist atemberaubend. In seiner Interpretation wird jede Passage zu purer Poesie; jede Tonleiter wirkt beseelt, und noch die banalste Wendung hat plötzlich ein Ziel. Ganz große Klavierkunst.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen