Solomon Cutner (1902 bis 1988) stammte aus einfachen Verhält- nissen. Sein Vater war Schneider; ursprünglich hieß die Familie Schneidermann, anglisierte aber ihren Namen dann auf Cutner - was nicht nur auf den Beruf anspielte, sondern auch auf das polnische Kutno, aus dem die Familie einst eingewandert war.
Die musikalische Begabung Solo- mons zeigte sich früh; im Alter von fünf Jahren erhielt der Knabe be- reits Klavierstunden, und 1910 trat er in die Privatmusikschule von Mathilde Verne ein. Diese Schülerin von Clara Schumann erwies sich nicht nur als versierte Pianistin, sondern auch als clevere Unternehmerin, die ihren Schüler als Wun- derkind vermarktete. Im Juni 1911 gab er sein Debüt mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 15 in B-Dur, KV 450, und dem langsamen Satz aus Tschaikowskis b-Moll-Klavierkonzert. "Solomon - aged 8 years", kündigte ihn Verne an, und diesen Künstlernamen behielt er bei, auch wenn seine glanzvolle Karriere zunächst abrupt endete. Denn dem Heranwachsenden wurde der Wunderkind-Bonus entzogen; und was das Publikum zuvor possierlich fand, das wurde schließlich als affektiert abgelehnt. Das stürzte Solomon in eine tiefe persönliche Krise. Als 14jähriger trennte er sich von seiner Lehrerin, und zog sich aus dem Musikbetrieb zurück.
Dass er 1921 erfolgreich ins Konzertleben zurückkehren konnte, verdankte Solomon vor allem Lazare Lévy, dem Nachfolger Cortots am Pariser Konservatorium - insbesondere jene exzellente Technik, die noch heute begeistert. Lèvy erinnerte seine Schüler immer wieder daran, dass ein Pianist nicht mit zwei Händen, sondern mit zehn Fingern spielt. Er legte größten Wert auf anatomisch korrekte Bewe- gungen, und auf einen sparsamen Gebrauch des Pedals.
Das Ergebnis: Phänomenale Durchhörbarkeit der musikalischen Strukturen, überragende klangliche und dynamische Gestaltung - und immer wieder Phrasen, die wie eine gesungene Melodie wirken. Solo- mons Spiel wirkt so "natürlich", so ungekünstelt, und erzeugt eine Spannung, dass man schier den Atem anhalten möchte. Das gilt insbesondere für den ersten Satz von Beethovens legendärer Klavier- sonate Nr. 14 cis-Moll, op. 27 Nr. 2, die Mondschein-Sonate, die man kaum noch anhören möchte, weil sie oftmals derart gedankenlos heruntergeklimpert wird. Solomon spielt dieses Stück delikat - und unendlich langsam, aber ich finde seine Auffassung interessant, weil auch Dynamik und Klang darauf hervorragend abgestimmt sind. So entsteht eine spannungsgeladene musikalische Atmosphäre, die zugleich eine für uns heutzutage nur noch schwer erträgliche Ruhe ausstrahlt. Die furiose Entladung erfolgt im dritten und letzten Satz. Das ist wirklich grandios, das ist große Klavierkunst.
Ähnliches gilt für Schumanns Carnaval, den Solomon so eng am Notentext interpretiert, dass man mitschreiben könnte. Doch durch die Strenge und die Präzision, mit der der Pianist Schumanns Werk spielt, tritt die Extravaganz dieser Komposition nur um so deutlicher zutage. Was Solomons Spiel so einzigartig macht, das ist sein Streben nach Werktreue, zugleich aber auch nach Klarheit, Eleganz - und Poesie. Das bekommt im übrigen auch den drei Werken Chopins, die hier zu hören sind, ganz fantastisch.
Die Aufnahmen, die Audite erstmals von den Originalbändern re- mastert hat, gehören zu seinen letzten: Solomon erlitt 1956 einen schweren Schlaganfall, der ihn nachhaltig beeinträchtigte. Geistig hellwach, doch ohne die Aussicht, jemals wieder Klavier spielen zu können, verbrachte der Pianist den Rest seines Lebens in seinem Haus in London, wo ihn seine Frau liebevoll pflegte. Diese Doppel-CD wird hoffentlich dazu beitragen, die Erinnerung an diesen großartigen Pianisten auch außerhalb von Fachkreisen wachzuhalten.
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